Nach insgesamt zwei Wochen bei unseren Eltern ist die Reise nun so richtig gestartet. Eine Woche Bremerhaven haben wir bereits hinter uns und sind seit Samstag in Klein Rehberg, einem (ja, was eigentlich? Dorf, Ortschaft, Gehöft?) Ort mit drei, vier oder fünf dauerhaften Bewohnern und sporadischen Feriengästen, wobei zu letzteren auch wir gehören. Zumindest für die nächsten drei Wochen. Die nächstgrößere Stadt ist Waren an der Müritz, etwa 20 Minuten mit dem Auto entfernt, das Handynetz nur bei gutem Wind aus der richtigen Richtung einigermaßen passabel, die Landschaft dafür wunderschön, leicht hügelig, ausgedehnte Wälder, große Wiesen, viele Seen und ganz viel Platz. Genauso soll es sein.
Auch Bremerhaven war wirklich schön, wenn auch weniger wegen der Stadt an sich, sondern eher dank ihrer Museen, den tollen Radtouren durch noch tollere Landschaften und einem wunderschönen Park mit großem See direkt hinter unserer Unterkunft, wo wir abends perfekt Aperol trinken und die Sonne genießen konnten. Ist also alles genauso, wie wir uns das vorgestellt hatten? Ja – und nein, würde ich sagen. Was ich wirklich ein bisschen unterschätzt habe ist, dass es tatsächlich auch anstrengend ist, sich ständig auf neue Dinge einzustellen. Theoretisch wusste ich es wohl, aber jetzt in der Praxis ist es noch einmal etwas anderes. Denn wir sind ja nicht einfach nur im Urlaub hier, wo man generell etwas gelassener und entspannter ist, weil man wenig, bis nichts zu tun hat, sondern arbeiten ganz normal weiter. Vollzeit und an vielen Tagen noch etwas darüber hinaus.
Wo sind also die Steckdosen, die man braucht? Wie schnell ist das WLAN wirklich und was hält es aus? Wo können wir unsere Arbeitsplätze einrichten? Wo kann man sich mal für einen Call zurückziehen – und was machen wir, wenn das nicht geht? Dazu kommt, dass wir in unserer gewohnten Umgebung in unzähligen Routinen und geübten Handgriffen leben, über die wir im Alltag nie nachzudenken brauchen. Wo die Tasse für den Tee steht. Wo das Messer fürs Brötchen liegt. Welche Küchenutensilien es überhaupt gibt – und welche vielleicht auch nicht. Wo es Platz gibt, um sich morgens zu dehnen. Seinen Sport zu machen. Seine Kleidung abzulegen. Wäsche zu waschen und zu trocknen. Sein Handy nachts zu laden.
Das alles sind Dinge, über die ich früher nie nachdenken brauchte. Kopf aus, einfach machen, jeden Handgriff schon tausende Male ausgeführt, selbst mit geschlossenen Augen hätte ich mich in unserer alten Wohnung jederzeit zurechtgefunden. Jetzt arbeitet der Kopf permanent, jeder Handgriff ist eine aktive Entscheidung, über die man nachdenken muss. Und kaum hat man gelernt, was es zu lernen gibt, wechselt die Unterkunft wieder und alles beginnt von vorne. Das ist nicht schlimm – nur eben alles ein bisschen anstrengender. Ich bin gespannt, wie sich das mit der Zeit entwickelt. Ob es einfacher, normaler wird und dadurch gar nicht mehr auffällt. Oder ob es mir irgendwann so richtig auf die Nerven geht – was ich ehrlich gesagt nicht hoffe und zum Glück auch nicht glaube.
Spannend ist auch der erste Moment des Fremdelns in der neuen Umgebung, den es zwangsläufig jedes Mal gibt. Denn man reist immer mit Erwartungen und einer gewissen Vorstellung an. Und egal, wie schön und perfekt es dann vor Ort sein mag, es ist auf jeden Fall: anders als gedacht. Und auch das ist interessant zu beobachten, wie man damit umgeht. Wie lange es dauert, bis dieses Gefühl verschwindet und man einfach nur da ist, wo man eben ist: in einem neuen Zuhause auf Zeit. Von daher freue ich mich, dass es jetzt nicht sofort weitergeht, sondern wir drei Wochen haben, uns auf diese Unterkunft in Klein Rehberg einzulassen und sie zu unserem Zuhause zu machen. Bevor es dann im Juli das Kontrastprogramm gibt: eine Woche Berlin – vom Land in die Großstadt, von Acker zu Asphalt, Stadtlärm statt Vogelgezwitscher. Und egal, ob uns das am Ende gefällt oder nicht, großartig wird oder möglicherweise ätzend, es wird auf jeden Fall eine Erfahrung und etwas, aus dem wir wieder lernen. Und genau so soll es ja auch sein.
20. Juni 2022