Zugegeben, ich war skeptisch. Ich hatte mich so sehr auf Natur, Weitläufigkeit, Ruhe und das große Nichts eingestellt, dass ich mir gar nicht vorstellen konnte, in Berlin zu sein. Vom Land in die hektische Großstadt? Alles laut, dreckig und voll? Vieles in mir sträubt sich dagegen, als wir in Klein-Rehberg aufbrechen. Allein der Name ist Programm – und vier Stunden Autofahrt später ist alles anders. Wie viele Kilometer man einfach durch eine Stadt fahren kann, ohne sie zu verlassen. Die ganze Zeit denkt man, man müsse gleich da sein – und trotzdem zeigt das Navi, dass es noch rund zwölf Kilometer sind.
Machen wir einen Zeitsprung. Sechs Tage später. Die frühe Abendsonne wärmt, der Stress des Tages fällt langsam ab, während der Kellner den Milchkaffee bringt. Auf den Kopfhörern läuft die Tour de France, natürlich, ich will ja nichts verpassen, das Diensthandy im Blick, denn das Gleiche gilt auch hier. Berlin ist Leben und ja, ich war skeptisch – aber auch unsere wirklich überragenden Gastgeber haben mir die Stadt noch einmal von einer ganz anderen Seite gezeigt. Zum ersten Mal auf unserer Tour wohnen wir nicht allein, sondern kommen bei Lenas Cousin unter. Menschen, auf die man sich einstellen muss, ein bisschen Rücksicht nehmen, das ist auf dem Papier eine Herausforderung und in der Praxis ein großer Spaß.


An diese Stelle ein riesiger Dank an Hannah und Fred – dafür, dass wir bei euch unterkommen durften und ihr uns mit all unseren Macken und dem Wecker um sechs Uhr früh ertragen habt. Dass ihr uns euer Berlin gezeigt, dass wir nach dem ersten Abendspaziergang ein bisschen und nach dem zweiten schon ziemlich doll lieb gehabt haben. Und für eure Gelassenheit – denn wir haben uns vom ersten Moment an bei euch wie zuhause gefühlt.
Mit diesen Voraussetzungen wird Berlin zu einem Highlight unserer Reise. Berlin ist die Stadt, in der das Leben ist. Die politische und auch gesellschaftliche Mitte Deutschlands – und das spürt man. Es ist ein schönes Erlebnis, man fühlt sich als inzwischen ehemaliger Wuppertaler zwangsläufig ein bisschen wie ein Landei, wenn man inmitten der vielen Menschen unterwegs ist.
Was bleibt? Die Erkenntnis, wie schnell man sich auf neue Umstände einstellen und sie lieben lernen kann. Die Tatsache, dass ich gerade gar keine Lust habe, wieder aus Berlin wegzugehen und für die kommenden Wochen aufs Land zu ziehen. Das Wissen, dass es mir dort nach wenigen Tagen, vielleicht Stunden, genauso gut gefallen wird wie gerade hier in der Hauptstadt. Und die Vorfreude auf Island, wohin ich in wenigen Stunden aufbrechen werde. Mit Zelt, Rucksack und Sebastian – einem fantastischen Freund mit dem ich schon so einige Abenteuer erleben durfte. Jetzt steht das nächste an, wegen Corona ein Jahr später als gedacht, aber am Ende genau zum richtigen Zeitpunkt. Ehrlich gesagt – ich kann mir aktuell gar nicht vorstellen, warum das Leben jemals wieder anders sein sollte.
15. Juli 2022